Gefühle beim Namen nennen: effektiv führen mit Affect labelling
Wirksamer führen durch das Benennen von Gefühlen? Verletzlichkeit zeigen im Umgang mit Mitarbeitenden? Am Arbeitsplatz ehrlich über Emotionen reden? Klingt gefährlich? Klingt nach Psychoquatsch? Oder nach Gen-Z-Gedöns? Frag dich mal, warum du das denkst. Beantworte dir selbst kurz die Frage: Was fühle ich, wenn ich das lese? Wie bin ich, wenn ich darüber nachdenke, Kolleg:innen, Mitarbeitenden und Kund:innen offen und ehrlich zu kommunizieren, was in mir vorgeht? Vielleicht kommst du zu Antworten wie: „Ich merke Widerstand, weil ich befürchte, dass ich dann nicht kompetent oder souverän wirke.“ Oder: „Kommt nicht in Frage – dann werde ich nicht mehr ernst genommen. Ich muss doch stark wirken.“
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht auf die Bedenken an sich eingehen, sondern auf den Effekt, den dieses Benennen deiner Emotionen auf dein Gehirn hat: du beruhigst deine Amygdala und kannst wieder klarer denken. Vielleicht kommst du am Ende dieses Textes sogar zu dem Schluss, dass es einen Versuch wert ist – dieses Affect labelling.
Die Amygdala, auch Mandelkern genannt, ist die Hirnregion für das Erleben von Stress und Angst. Als Teil des Limbischen Systems spielt sie eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Gefühlen. Für das Miteinander heißt das: Wenn wir selbst eine Emotion erleben oder dabei sind, während jemand eine Emotion erlebt, ist die Amygdala aktiv und steuert, zusammen mit anderen Hirnregionen, unsere Reaktion darauf. Je nach Intensität der Gefühle, werden wir aufmerksamer und wacher, bis hin zum Starre-, Flucht- oder Kampfreflex. Jetzt kommt das Affect labelling ins Spiel: das simple in-Worte-fassen unserer Emotionen beruhigt die Amygdala – die Aktivität in diesem Bereich nimmt nachgewiesenermaßen sofort ab. Es ist, als würden wir einen Schalter umlegen, der den Sturm der Emotionen in unserem Inneren beruhigt.
Was bringt dir das jetzt am Arbeitsplatz? Zum einen: Ruhe und Besonnenheit. Und das sind doch – da werden vermutlich die meisten zustimmen – wichtige erstrebenswerte Führungsqualitäten. Stell dir eine Situation vor, in der ein Teammitglied sich von einem Projekttermin oder der Arbeitslast überfordert fühlt. Anstatt Bedenken abzutun oder sofort in den Problemlösungsmodus zu gehen, nimmst du dir kurz Zeit, um die Gefühle des Teammitglieds anzuerkennen. Zum Beispiel so: „Das klingt danach, als wärst du sehr gestresst durch diese Deadline. Das kann ich gut nachvollziehen.“ Damit erkennst du die Emotion des Teammitglieds an und bestätigst, dass dir diese Erfahrung bekannt ist. Die Amygdala deines Gegenübers wird sofort beruhigt, die Person entspannt sich und – aufgepasst – fühlt sich verstanden und wertgeschätzt. Und das ist der zweite enorme Vorteil des Affect labelling. Wenn du Emotionen – sowohl deine eigenen als auch die anderer – anerkennst und verbal ausdrückst, förderst du ganz nebenbei eine Kultur der Empathie und des Verständnisses. Eine Kultur, in der sich die Menschen gesehen, gehört und unterstützt fühlen. Und schwupps sind sie eher bereit, ihren Kolleg:innen zu vertrauen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Sie sind engagierter, motivierter und stärker am Erfolg des Teams interessiert. Und als Führungskraft ist das schließlich das, worauf wir letztendlich hinarbeiten, oder?
Also, wie kannst du anfangen, das Gefühlsbenennen als Führungswerkzeug zu nutzen? Praktiziere das aktive Zuhören – achte auf die Emotionen hinter dem, was die Menschen sagen, und spiegle diese zurück. Verwende Sätze wie „Es klingt so, als ob du dich… fühlst…“ oder „Ich kann mir vorstellen, dass das wirklich herausfordernd ist.“ Und feiere auch die positiven Gefühle. Wenn ein Teammitglied einen Erfolg oder einen Moment der Freude teilt, nimm dir einen Moment Zeit, um diese Emotion zu benennen und an ihrer Begeisterung teilzuhaben. Und ganz wichtig: Benenne auch deine eigenen Gefühle. Das ist elementar, um wirkliches Vertrauen deiner Mitarbeitenden zu gewinnen. Und ganz nebenbei beruhigst du dabei deine Amygdala und kannst lösungsorientierter denken. Ein paar Beispielphrasen, um die eigenen Gefühle zu benennen:
– „Wenn ich das hier so erlebe, dann bin ich …“
– „Ich fühle mich gerade …, wenn ich das höre, sehe, lese, weil mir … wichtig ist.“
– „Ich merke gerade, dass sich ein Gefühl von … in mir breit macht, weil ich das Bedürfnis nach… habe.“
Das Einbeziehen des Gefühlsbenennens in deinen Führungsstil wird dich nicht nur zu einer besseren Führungskraft machen – es wird deinen Arbeitsplatz oder dein Unternehmen zu einem Ort machen, an dem Menschen so sein dürfen, wie sie sind. Übrigens etwas, das immer mehr gesucht wird. Du tust damit also etwas, um Mitarbeitende zu halten und neue zu gewinnen.
Wir alle fühlen viel – den ganzen Tag – ob zuhause oder bei der Arbeit. Also lasst uns doch einfach drüber reden und alles leichter machen 😊
Super interessant, herzlichen Dank dir, Conny!